News
Geht Landwirtschaft ohne Diesel?
Fendt-Entwickler Wolfgang Breu schaut im jüngsten VDI-Vortrag in die Zukunft
21/03/2024
Die Diesel-Debatte in der Landwirtschaft erhitzt die Gemüter – spätestens seit Bauern von Aachen bis Altötting mit ihren Traktoren in die Innenstädte fahren, ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Können alternative Antriebe eine Lösung sein?
Wolfgang Breu weiß zum Thema einiges zu sagen. Der Leiter des Teams Zero Emissions bei Fendt, einem der größten Landmaschinenhersteller weltweit, betreut seit vielen Jahren zukunftsweisende Projekte zur Elektrifizierung von Traktoren. Am 19. März ist der Spezialist bei der Hochschule München zu Gast – und spricht im ersten VDI-Vortrag des Sommersemesters 2024 über Herausforderungen, Möglichkeiten und Lösungen auf dem Weg zur dieselfreien Landwirtschaft.
Das Interesse ist groß: Rund 90 Studierende und Interessierte folgen dem spannenden Auftakt der VDI-Vortragsreihe in Präsenz und an den Bildschirmen.
Einfache Lösungen gibt es nicht
Eines stellt Wolfgang Breu gleich zu Anfang klar: Einfache Lösungen gibt es nicht. Traktoren sind keine Autos, die Anforderungen sind groß – die Einsatzbereiche reichen vom Ackerbau über den Transport bis zum Schneeräumdienst in Kommunen. Dabei steht die Wirtschaftlichkeit im Fokus – Anwender wollen profitabel arbeiten.
Entsprechend anspruchsvoll ist die Entwicklung neuer, auf die Anforderungen zugeschnittener Konzepte – Fendts US-amerikanische Mutter AGCO investiert jährlich 440 Millionen US-Dollar in die Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Die deutsche Tochter ist Vorreiter, wenn es um moderne Technologien zugunsten einer nachhaltigen Landwirtschaft geht. Bereits 2017 stellt das Unternehmen mit Hauptsitz in Marktoberdorf seinen ersten Traktor mit elektrischem Antrieb vor, den „e100 V Vario“, damals als Konzeptstudie. Auf der Fachmesse Agritechnica 2023 präsentiert Fendt das Modell erstmals als Standard-Traktor. 2024 soll es nun in Serie gehen.
Der „e100 V Vario“ wird der erste batteriebetriebene Traktor auf dem Markt sein und der erste Traktor in Serienproduktion, der mit geringerer Geräuschbelastung und emissionsfrei arbeitet. Der Newcomer hat 75 PS, fährt bis zu 40 km/h und wiegt mit 3,5 Tonnen nur etwa 200 Kilogramm mehr als ein Dieselfahrzeug. Die Maschine verfügt über eine Akkukapazität von 100 kWh. Sein idealer Einsatzbereich sind zum Beispiel Sonderkulturen, Gewächshäuser, Betriebe mit eigener Stromproduktion oder Kommunen.
Klar, dass dem neuen E-Traktor auch Grenzen gesetzt sind. Für gängige landwirtschaftliche Arbeiten brauchen Bauern in Deutschland Traktoren mit 180 PS und mehr, eine Batterie mit dieser Leistung würde ganze sechs Tonnen wiegen – zu viel Gewicht für die Feldarbeit. Auch die benötigte Zugkraft über viele Stunden hinweg gehört zu den Herausforderungen, die bei der Elektrifizierung von Traktoren zu lösen sind.
Wasserstoff: Kraftstoff mit Potenzial
Wolfgang Breu sieht weniger Probleme als Chancen: Der Visionär, der um die Jahrtausendwende selbst an der Hochschule München studiert hat, knobelt mit seinem Zero Emission Team bei Fendt mit positiver Grundeinstellung an den Lösungen der Zukunft.
Die von ihm betreuten Projekte reichen dabei von „X Concept“, einer elektrisch betriebenen Gesamtlösung für Traktor und Gerät, bis zu „Robotik Xaver“, einem autonomen Helfer für die Ernte.
Ein weiteres zukunftsweisendes Projekt, an dem Breu mit seinem Team gerade arbeitet, nennt sich „H2Agrar“ und meint die Entwicklung einer grünen Wasserstoff-Mobilität für das Agrarland Niedersachsen. Fendt entwickelt wasserstoffbetriebene Prototyptraktoren, die auf landwirtschaftlichen Testbetrieben in der Modellregion Haren Ems/Emsland unter realen Bedingungen eingesetzt werden. Das Ziel: den notwendigen Wasserstoffverbrauch für die Traktoren zu ermitteln und die Anforderungen zum Aufbau einer geeigneten Infrastruktur zu definieren.
Eine der größten Herausforderungen dabei: Es gibt aktuell nur 170 Wasserstofftankstellen in Europa, davon 92 in Deutschland. Die Chancen: Wasserstoff ist grundsätzlich verfügbar bzw. produzierbar, ebenso wie Technik und Komponenten, und eignet sich für emissionsfreie Traktoren zwischen 100 und 200 kW. Außerdem hat Wasserstoff eine hohe Energiedichte. Und: Schnelles Auftanken ist möglich.
Es sind Projekte wie diese, mit denen Wolfgang Breu bei Fendt in die Zukunft schaut – am liebsten auch mit Nachwuchs aus der Hochschule München: Fendt bietet jedes Semester Praktikumsstellen und Abschlussarbeiten (Bachelor und Master) an, darunter viele in der Vorentwicklung in Marktoberdorf.
Auf zum nächsten Vortrag
Nach dem gelungenen Auftakt mit Wolfgang Breu geht die VDI-Vortragsreihe am 9. April in die nächste Runde. Auch diesmal steht wieder ein spannendes Thema auf dem Programm: die „Dornier 228 Next Generation“. Zwei Piloten von General Atomics Aero Tec Systems werden von der Weiterentwicklung der legendären Turboprop-Maschine berichten, die gerade mit modernster Technologie und verbesserter Leistung in Serie geht.
Auch diese Veranstaltung findet als hybrides Format statt. Wer in Präsenz teilnimmt, ist klar im Vorteil – und bekommt die Möglichkeit, das neue Fluggerät im Aerospace Flight Test Center Oberpfaffenhofen live zu sehen.
Für alle Studierenden gilt: Wer sieben VDI-Vorträge in zwei aufeinanderfolgenden Semestern verfolgt, kann sich den Besuch im Abschlusszeugnis als „Freiwilliges Wahlfach“ eintragen lassen und einen ECTS-Punkt sichern.
Sie waren dabei? Geben Sie uns gerne Feedback. Wir freuen uns auf Ihre Eindrücke und Kommentare unter fk03@hm.edu
Weitere Details und Termine unter VDI-Vortragsreihe Sommersemester 2024