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Technische Innovationen in der Herzchirurgie
VDI-Vortrag beleuchtet Wechselspiel zwischen Herzchirurgie und Medizintechnik
17/05/2024
Seit einem Jahrhundert operieren Chirurgen am menschlichen Herzen. Innovative Operationstechniken und fortschrittliche Medizintechnik gehen dabei Hand in Hand und eröffnen regelmäßig neue Behandlungsoptionen.
Ralf Roßbroich, Entwicklungsleiter beim Münchner Start-up und Kooperationspartner der Hochschule München AdjucCor, gewährt im VDI-Vortrag am 14. Mai 2024 einen Einblick in die Welt der Herzklappen, künstlichen Herzen und extrakorporalen Lungen.
Raum für Innovationen
Seit mehr als einem Jahrzehnt widmet sich Ralf Roßbroich Systemen zur Herz- und Lungenunterstützung. Dabei prägen nicht nur die klassische Entwicklungsarbeit und die Schnittstellen zu Medizin und menschlichem Körper sein Tun, sondern auch Themen wie regulatorische Anforderungen, Qualität und Produktion.
Immer im Fokus dabei: der schwer kranke Patient, dem durch neue Entwicklungen und Ansätze in Medizin- und Operationstechnik bessere Überlebenschancen und mehr Lebensqualität geschenkt werden sollen.
Die Herausforderungen sind groß: Die Bevölkerung altert, die Gesundheitsversorgung muss bezahlbar bleiben, Transplantate sind nur eingeschränkt verfügbar und Patienten soll ein möglichst autonomes Leben ermöglicht werden.
Gleichzeitig gibt es viel Raum für Innovationen: Millionen schwerkranker Patienten weltweit warten auf neue medizinische Lösungen zur Verbesserung ihrer Lebenssituation.
Hoher Bedarf, riesige Versorgungslücken
Allein in den USA und in Europa leiden aktuell mehr als 500.000 Menschen unter chronischer Herzinsuffizienz, Tendenz steigend. Der Grund: „Die Menschen sterben heute nicht mehr so leicht am Herzinfarkt“, weiß Ralf Roßbroich, „was zu einer Zunahme von Folgeerkrankungen führt.“
Bei der Behandlung chronischer Herzinsuffizienz sind Patienten derzeit auf Herztransplantationen oder mechanische Blutpumpen angewiesen – beide Therapieformen sind aufgrund des Blutkontakts mit hohen Risiken und überdies mit hohen Kosten verbunden. Transplantationen stehen aufgrund des weltweiten Mangels an Spenderorganen außerdem nur wenigen Menschen offen – gerade einmal 1,1 Prozent der über 500.000 Betroffenen in Europa und den USA werden transplantiert.
Insgesamt klafft eine gewaltige Versorgungslücke – die sich aufgrund der demoskopischen Entwicklung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter verschärfen dürfte.
Mechanische Unterstützung ohne Blutkontakt
Um diese Lücke zu schließen, wird weltweit an alternativen technologischen Lösungen geforscht – AdjuCor etwa hat ein Herzunterstützungssystem völlig neuer Machart entwickelt, das nach Einschätzung von Ralf Roßbroich ein echter Game-Changer sein wird in der Behandlung schwer herzkranker Menschen.
„reBEAT“ heißt die extravaskuläre biventrikuläre Lösung, die ohne jeden Blutkontakt auskommt und damit blutbedingte Komplikationen wie Schlaganfälle oder Blutgerinnsel vollständig vermeidet.
reBEAT verwendet eine weiche Hülle mit Kissen, die individuell für die Patientin und den Patienten angefertigt wird und das Herz synchron zum Herzschlag mechanisch unterstützt, ohne direkten Blutkontakt zu haben. Die Synchronie entsteht dabei durch das in Echtzeit aufgezeichnete EKG.
Energie-Versorgung für beide Herzkammern
Das System wird von einem OP-Team, bestehend aus Kardiologen und Herzchirurgen, innerhalb weniger Minuten ohne Nähte um das Herz herum am schlagenden Herzen implantiert. Ein Blutkontakt und damit blutbedingte Komplikationen wie Schlaganfälle oder Blutgerinnsel werden dabei vollständig vermieden. Und: Die auf das Herz übertragene Energie kann punktgenau an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten angepasst werden.
Darüber hinaus ist reBEAT in der Lage, sowohl die linke als auch die rechte Herzkammer zu unterstützen, was bei herkömmlichen Pumpen-Systemen nicht der Fall ist. Dieser Ansatz eröffnet neue Möglichkeiten für Menschen mit biventrikulärer Funktionsstörung und erhöht die Flexibilität der Behandlungsmöglichkeiten erheblich.
Erste Systeme erfolgreich implantiert
Bis die neue Technologie in der Praxis eingesetzt werden kann, wird es jedoch noch einige Jahre dauern, erklärt Ralf Roßbroich. So befindet sich reBEAT derzeit in einer akuten Humanstudie, bei der bereits sieben Patientinnen und Patienten in den herzchirurgischen Kliniken der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und des Freeman Hospitals in Newcastle upon Tyne (UK) erfolgreich implantiert wurden. Bis 2026 sollen weitere klinische Studien folgen, um Langzeitwirkung und Sicherheit des Systems zu testen.
SmartHeart: Hochschule München forscht an der Herzsimulation und Anwendung intelligenter Werkstoffe
Parallel dazu forscht die Hochschule München zusammen mit AdjuCor und TUM (Prof. Michael Gee) an der Simulation des menschlichen Herzens und am Einsatz intelligenter Werkstoffe in Herzunterstützungssysteme wie reBEAT.
SmartHeart heißt das gemeinsame Forschungsprojekt, das zum Ziel hat, digitale Herzmodelle für den klinischen Einsatz zu qualifizieren, effiziente Simulationsalgorithmen zu entwickeln und durch die Anwendung intelligenter Werkstoffe vollständig implantierbare Lösungen zu ermöglichen. Vor allem durch den Einsatz von Methoden der KI erhofft man sich die Simulationszeiten der existierenden virtuellen Herzmodelle stark verringern zu können.
Innovation rettet Leben: Studierende der Hochschule München, die an der Entwicklung moderner virtueller Medizintechnik mitwirken möchten, sind eingeladen, mit dem SmartHeart-Team Kontakt aufzunehmen..
Kontakt:
Ludwig Wagmueller, Projektleiter SmartHeart
Prof. Dr. Markus, Gitterle, Projekfunding SmartHeart, Studiengangsleiter Digital Engineering
Prof. Dr. Michael Wibmer, Projektfunding SmartHeart, Prodekan Forschung & Entwicklung
Auch AdjuCor steht studentischem Nachwuchs offen gegenüber – und freut sich über Initiativbewerbungen.
Prof. Dr. Michael Wibmer / GA
Auf zum nächsten Vortrag
Neue Drohnen, legendäre Flugzeuge: Die nächsten VDI-Vorträge warten schon.
Bonus für Studierende: Wer sieben VDI-Vorträge in zwei aufeinanderfolgenden Semestern verfolgt, kann sich den Besuch im Abschlusszeugnis als „Freiwilliges Wahlfach“ eintragen lassen und einen ECTS-Punkt sichern.
Weitere Details und Termine unter VDI-Vortragsreihe Sommersemester 2024
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