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Protokoll einer Flutkatastrophe
Hubschrauberpilot spricht im VDI-Vortrag über seinen dramatischen Einsatz im Ahrtal
05/11/2024
Zerstörte Häuser, verbeulte Autos, Berge von Schlamm und Schutt: Achim Keck müssen die aktuellen Bilder aus Spanien wie ein Déjà-vu vorkommen. Der Hubschrauberpilot der ADAC Luftrettung war vor drei Jahren im Ahrtal im Einsatz. Die Flutkatastrophe 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen kostete allein an der Ahr 135 Menschen das Leben, in Valencia übersteigt die Zahl der Todesopfer inzwischen die 220 – die Parallelen zwischen den beiden Ereignissen sind bedrückend.
„Das sind Bilder, die man nicht vergisst!“
Achim Keck, 56, hat Erfahrung mit Katastrophen – der 56-Jährige fliegt seit 1993 in der Rettung, mit Lizenz für alle Hubschraubertypen. Trotzdem bringt ihn der Einsatz an der Ahr, wie die gesamte Crew, emotional an seine Grenzen: „Das sind Bilder, die man nicht vergisst.“
Ende Oktober erzählt Keck im VDI-Vortrag von seinen prägenden Erlebnissen bei der Jahrhundertflut im Ahrtal. Rund 80 Studierende und Interessierte verfolgen live an der Hochschule München und online das Protokoll einer Katastrophe mit Ansage.
200 Rettungseinsätze, 111 Windenrettungen
Die ADAC Luftrettung absolviert im Juli und August 2021 mehr als 200 Rettungseinsätze, darunter 111 Windenrettungen. Der hierfür extra zur Verfügung gestellte und ins Ahrtal verlegte Hubschrauber „Christoph 23 Bravo“ fliegt bereits in den ersten Stunden 36 Spezialeinsätze, um Menschen von Dächern oder aus von Wasser eingeschlossenen Häusern und Plätzen zu retten. So viele Windeneinsätze hintereinander ist seit Bestehen der ADAC Luftrettung noch kein ADAC-Rettungshubschrauber an einem Tag geflogen.
„Es war ein Sommer mit viel Regen“, erinnert sich Keck. Am Morgen des 14. Juli 2021 warnt der Deutsche Wetterdienst (DWD) vor „extremem Unwetter“ mit Dauerregen und Starkregen in weiten Teilen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Kurze Zeit später löst die Hochwasserzentrale wegen steigender Pegel Warnstufe 4 aus. Um 17:17 Uhr ist die Ahr auf 2,78 Meter angeschwollen – es gilt die höchste Warnstufe 5.
Weil sich die Wetterlage zwischenzeitlich leicht beruhigt, geben die Behörden Entwarnung. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich wenig später herausstellen sollte. Denn: Um 20:45 Uhr zeigt der Pegel in Altenahr bereits einen Wasserstand von 5,75 Metern an. Es ist die letzte Meldung der Messstelle bei diesem Hochwasser, die Pegellatte wird von der Flut mitgerissen.
Dunkelheit, starker Regen und ein enges Tal
Als Achim Keck im Hochwassergebiet eintrifft, ist die Lage dramatisch. „Es war ein Bild der totalen Zerstörung. Es gab keine Infrastruktur mehr, keine Wege, keine Straßen, die Wasserversorgung war unterbrochen. Menschen saßen auf den Dächern und warteten auf Rettung.“
Diese gestaltet sich schwierig: „Das Ahrtal ist eng, die Hänge steil. In der Dunkelheit und bei starkem Regen war ein Sichtflug nicht möglich, daher mussten wir mit Instrumentenflug rein.“
Auch die Kommunikation zwischen Einsatzleiter und Helfern ist hoch problematisch: kein funktionierendes Festnetz, eingeschränkte Handynutzung, Funk nur an wenigen Stellen – „wie nutzten alle Kanäle, die wir hatten“, erzählt Keck.
Die Retter stoßen an immer neue Grenzen
Nachdem die Bundeswehr Digitalfunkmasten aufstellt, verbessert sich die Situation. Trotzdem stoßen die Helfer an immer neue Grenzen. Die Schlammmassen trocknen – beim Sinkflug wirbeln die Hubschrauber so viel Staub auf, dass sie nicht landen können. Keck: „Wir haben alles mit der Seilwinde gemacht, aber auch mit Seilen von über 90 Metern hatten wir so viel Staub in der Luft, dass keine Sicht möglich war. Wir kamen bei vielen Flügen nicht ran an die Menschen.“
Sechs bis acht Einsätze fliegen Achim Keck und Team pro Tag, trotz moderner Fluginstrumente ist ein punktgenaues Aufsetzen der Retter schwierig und manchmal auch unmöglich. Keck: „Man muss als Pilot einen Referenzpunkt am Boden finden.“
Die Wartung der Hubschrauber passiert nachts: „Unsere Wartungsteams sind 24/7 im Einsatz, rund um die Uhr – auch ohne Flut.“
Schwere Momente und eine traurige Bilanz
Traumapatienten, Herzinfarkte, Schnittverletzungen: Neben der ärztlichen Versorgung von Anwohnern und Helfern geht es im Ahrtal auch um das Absetzen von Ärzten in eingeschlossenen Ortschaften oder von Kriseninterventionsteams nach der Überbringung von Todesnachrichten. Schwere Momente gibt es reichlich für die Crews der ADAC Luftrettung während der Flut, die auch heute, drei Jahre später, noch nachwirken.
Die traurige Bilanz des Sommers an der Ahr: 135 Tote, 766 Verletzte, 9.000 zerstörte Häuser, 100 zerstörte oder beschädigte Brücken, 17.000 Menschen, die ihr gesamtes Hab und Gut verloren.
Was sich seit der Flut 2021 getan hat? Ministerien und Hilfsorganisationen arbeiteten enger zusammen, das Equipment für die Helfer sei aufgestockt und verbessert worden, es würden mehr Hubschrauber mit Seilwinde eingesetzt und es gebe frühere Warnungen, berichtet Achim Keck. Genug, um Katastrophen dieses Ausmaßes künftig zu verhindern, sei das aber nicht.
Wenige Tage nach Kecks Besuch an der Hochschule München steht der Osten Spaniens unter Wasser. Die Bilder ähneln sich dramatisch. Es werden nicht die letzten sein…
GA
Info
VDI-Vortrag vom 29.10.2024
Thema: Der Hubschraubereinsatz im Ahrtal
Referent: Achim Keck, Hubschrauberpilot der ADAC Luftrettung
Leitung: Prof. Dr.-Ing. Alexander Knoll
Auf zum nächsten Vortrag
Wie sieht das Nutzfahrzeug der Zukunft aus? Was kann moderne Laservibrometrie? Wie nachhaltig ist Sustainable Aviation Fuel: Die nächsten VDI-Vorträge warten schon.
Bonus für Studierende: Wer sieben VDI-Vorträge in zwei aufeinanderfolgenden Semestern verfolgt, kann sich den Besuch im Abschlusszeugnis als „Freiwilliges Wahlfach“ eintragen lassen und einen ECTS-Punkt sichern.
Weitere Details und Termine unter VDI-Vortragsreihe im Wintersemester 2024/25