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Wie die Dekarbonisierung der Luftfahrt gelingen kann
VDI-Vortrag beleuchtet Bedeutung nichtfossiler Kraftstoffe für den Klimaschutz
18/11/2024
Der Luftverkehr ist heute für etwa zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Prognosen des internationalen Dachverbands der Luftverkehrsgesellschaften IATA zufolge wird sich dieser Anteil bis zum Jahr 2040 noch verdoppeln – keine guten Nachrichten für den Klimaschutz. Kann nachhaltiger Treibstoff die Lösung sein?
Oscar Nyman, Chemieingenieur bei Neste, dem führenden Hersteller von Sustainable Aviation Fuel (SAF), spricht Mitte November im VDI-Vortrag an der Hochschule München über die Möglichkeiten und Chancen nichtfossiler Kraftstoffe.
Tierfette statt Rohöle
SAF steht für eine Vielzahl nachhaltiger Flugzeugkraftstoffe aus unterschiedlichen Ausgangsstoffen. Alle sind chemisch nahezu identisch mit Kerosin, basieren aber nicht auf fossilen Rohstoffen und haben über ihren gesamten Lebenszyklus einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck. Deshalb sollen nachhaltige Kraftstoffe fossile ersetzen, in allen Bereichen des Verkehrs, die schwer zu elektrifizieren sind – beispielsweise in der Luftfahrt auf Mittel- und Langstrecken.
Neste gehört zu den erfahrensten Größen auf dem Markt – das finnische Unternehmen arbeitet bereits seit den 1990er Jahren an der Entwicklung erneuerbarer Kraftstoffe, SAF gehört zu den wichtigsten Produkten aus den Entwicklungslaboren des Weltmarktführers. Produziert wird das nachhaltige Flugbenzin bei Neste nach dem HEFA-Verfahren (Hydroprocessed Esters and Fatty Acid) auf Basis erneuerbarer Abfälle und Reststoffe wie gebrauchtem Speiseöl und tierischen Abfallfetten.
Oscar Nyman hält SAF für „eine der wichtigsten heute verfügbaren Lösungen“ zur Vermeidung von klimaschädlichem CO2. Der Kraftstoff seines Arbeitgebers etwa reduziere die Treibhausemissionen über seinen Lebenszyklus um bis zu 80 Prozent gegenüber fossilem Kerosin und sei als Drop-in-fähiges Produkt kompatibel mit bestehenden Flugzeugtriebwerken und Flughafeninfrastrukturen.
Die Mischung macht‘s
Aktuell dürfen SAF in der kommerziellen Luftfahrt ausschließlich gemischt mit Kerosin eingesetzt werden. Erlaubt ist zurzeit eine Beimischung von maximal 50 Prozent. Tatsächlich liegt der Anteil der Beimischung im Bereich von weniger als einem Prozent – über alle Flüge hinweg betrachtet.
Das ändert sich gerade: Ab 2025 ist eine Beimischung von zunächst zwei Prozent SAF für alle Flüge, die innerhalb Europas starten, gesetzlich vorgeschrieben. Im Jahr 2030 soll sich dieser Anteil auf sechs Prozent, im Jahr 2050 auf rund 70 Prozent erhöhen.
Ehrgeizige Klimaziele erhöhen die Nachfrage
„Mit diesen gesetzlichen Vorgaben wird die Nachfrage nach SAF kontinuierlich ansteigen“, mutmaßt Oscar Nyman. Treiber sei unter anderem die Initiative „ReFuelEU Aviation“, ein Teil des Maßnahmenpakets „Fit for 55“, das es der EU ermöglichen soll, ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 klimaneutral zu werden.
In der Folge werde SAF von vielen Fluggesellschaften und auf Flughäfen rund um den Globus kommerziell genutzt, Neste beliefere bereits Airports von Frankfurt bis Los Angeles und arbeite zudem daran, seine Produktionskapazitäten weiter zu erhöhen.
Geringe Mengen, hohe Preise
Letzteres stehe auf der Prioritätenliste ganz oben: Die Luftfahrt braucht in Zukunft zwar deutlich größere Mengen an SAF, um die Emissionen planmäßig verringern zu können, jedoch sind nachhaltige Kraftstoffe weder in relevanten Mengen, noch zu marktüblichen Preisen verfügbar. Tatsächlich sind SAF um ein Vielfaches teurer als herkömmliches Kerosin.
Eine Ursache: Die Ressourcen für SAF, das aus biologischen Rohstoffen hergestellt wird, seien limitiert, erklärt Nyman. Daher arbeite Neste zum einen an neuen Technologien zur Diversifizierung seiner Rohstoffbasis und erschließe neue Materialien, darunter Lignozellulose, Algen und Power-to-Liquids (PtX). Zum anderen fokussiere es sich auf die Entwicklung von eSAF, synthetischen Kraftstoffen, die auf Basis erneuerbaren Stroms in großen Mengen nachhaltig hergestellt werden können.
Auch beim synthetischen Treibstoff gibt es bereits gesetzliche Vorgaben der EU: Sein Anteil soll ab 2030 bei 1,2 Prozent liegen und bis 2050 auf 35 Prozent steigen.
Auch wenn die festgeschriebenen Ziele ermutigen: Sie sind ehrgeizig, ihre Umsetzung keineswegs gesichert.
Trotzdem: „Die Luftfahrt ist in verstärktem Maße von flüssigem Flugzeugtreibstoff abhängig und wird es auch in Zukunft sein, selbst bei verbesserter Effizienz und dem vermehrten Einsatz elektrisch betriebener Flugzeuge auf der Kurzstrecke“, ist Oscar Nyman überzeugt.
Sein Fazit: „Sustainable Aviation Fuels sind daher das wichtigste Werkzeug für die Annäherung der Luftfahrtindustrie an die Netto-Null.“
GA
Info
VDI-Vortrag vom 12.11.2024
Thema: Sustainable Aviation Fuel
Referent: Oscar Nyman, Neste
Leitung: Prof. Dr.-Ing. Alexander Knoll
Auf zum nächsten Vortrag
Wie funktioniert Autofahren mit einem intelligenten persönlichen Assistenten? Wie sieht die Hauptuntersuchung der Zukunft aus? Können neue Triebwerkskonzepte die Luftfahrt verändern? Die nächsten VDI-Vorträge warten schon.
Bonus für Studierende: Wer sieben VDI-Vorträge in zwei aufeinanderfolgenden Semestern verfolgt, kann sich den Besuch im Abschlusszeugnis als „Freiwilliges Wahlfach“ eintragen lassen und einen ECTS-Punkt sichern.
Weitere Details und Termine unter VDI-Vortragsreihe im Wintersemester 2024/25