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Klimaforschung am fliegenden Objekt: Was synthetische Kraftstoffe in der Luftfahrt bewirken können

Testpilot des DLR präsentiert im VDI-Vortrag die neuesten Ergebnisse zur Nutzung von SAF bei Turboprop-Flugzeugen
08/05/2025
So spannend kann Forschung sein: Um den Nutzen synthetischer Kraftstoffe für den Klimaschutz berechnen zu können, führen das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Flugzeughersteller Deutsche Aircraft Messungen „am fliegenden Objekt“ und am Boden durch.
Der Forschungsaufbau ist spektakulär: Für die Messungen in der Luft kommen zwei Flugzeuge zum Einsatz – eine Turboprop-Maschine vom Typ Dornier 328-100, die mit 100 Prozent synthetischem Treibstoff betankt wurde, gefolgt von einer Falcon 20, die als „fliegendes Labor“ die Emissionen der vorausfliegenden Maschine misst.
Schaltzentrale und Durchführungsort des groß angelegten Projekts für den Klimaschutz ist der Flugplatz Oberpfaffenhofen. Ingmar Mayerbuch, Leiter der Forschungsflugabteilung und Cheftestpilot des DLR, kommt zum VDI-Vortrag ins benachbarte Aerospace Flight Test Center von HM und TUM, wo er in eindrucksvollen Worten über die jüngsten Forschungsflüge spricht. An seiner Seite: Marc Frattini, Cheftestpilot der Deutschen Aircraft.
Die Bilder aus dem Cockpit sind atemberaubend: Die Falcon 20 fliegt direkt im Abgasstrahl, wenige Meter hinter dem Erzeuger-Flugzeug. Die Crew wird kräftig durchgeschüttelt, die Messungen in der hochturbulenten, dynamischen Umgebung sind Präzisionsarbeit und ein Manöver mit hohem Risiko.
Flugversuche für eine klimaverträgliche Luftfahrt
Die Verfolgungsflüge von DLR und Deutsche Aircraft sind die weltweit ersten Messflüge hinter einem Turboprop-Flugzeug, das mit 100 Prozent synthetischem, aromatenfreiem Kraftstoff angetrieben wird, erklärt Mayerbuch. Ziel ist es, neben dem CO2-Fußabdruck des Luftverkehrs auch den Partikelausstoß und die klimawärmenden Kondensstreifen zu reduzieren und damit einen Weg für eine klimaverträgliche Luftfahrt zu ebnen.
Frühere Flugversuche, die das DLR gemeinsam mit der NASA und mit Airbus durchführte, zeigten bereits, dass der Einsatz von nachhaltigem Biokraftstoff zu einer Reduktion der Rußpartikel, der Eiskristalle und der Klimaerwärmung durch Kondensstreifen führt. Im Projekt CLIM0ART (Climate Impact-driven Emission and Contrail Measurements of 0 Aromatic fuels in Regional Turboprop Aircraft) wird nun untersucht, ob mit synthetischen, aromatenfreien Kraftstoffen ähnliche Ergebnisse erzielt werden können.
Ebenfalls im Fokus: die Emissionen von Turboprop-Flugzeugen der Regionalflotte, die als Referenz für zukünftige neuartige Antriebstechnologien (zum Beispiel mit Wasserstoff) dienen sollen.
UpLift für die Turboprop-Maschine
Um die Messungen am Boden und in der Luft durchführen zu können, musste unter anderem die Dornier 328-100 für den Betrieb mit synthetischen Kraftstoffen modifiziert werden. Einbau neuer Dichtungen im Treibstoffsystem, Anpassung der Triebwerke an den neuen Kraftstoff: Die modifizierte Maschine trägt die Bezeichnung D328 UpLift.
Betrieben wird das Forschungsflugzeug mit 100 Prozent synthetischem, aromatenfreiem Kerosin. Im Gegensatz zu Biokraftstoffen werden hier keine landwirtschaftlichen Produkte benötigt, sodass der Power-to-Liquid-Kraftstoff (PtL) nicht mit der Erzeugung von Lebensmitteln konkurriert. Im Testflugzeug wird Fischer-Tropsch Synthetic Paraffinic Kerosene (FT-SPK) des Herstellers Sasol verwendet. Dieser Treibstoff ist chemisch und prozesstechnisch äquivalent (PtL-Proxy) und ergebe, vorbehaltlich der finalen Auswertungen, ein 25- bis 45-prozentiges Minus beim Kondensstreifen-Klimaeffekt durch Ruß-Reduktion, erläutert Mayerbuch.
Reduktionspotenzial in allen Bereichen
Obgleich das Projekt CLIM0ART „ongoing“ sei, sieht Ingmar Mayerbuch bereits „Reduktionspotenzial in allen Bereichen“. So sei der Kraftstoff PtL-Proxy herkömmlichem Jet-A1 in seiner Klimawirkung eindeutig überlegen, besonders im Bereich der non-volatilen Partikel. Laufende Analysen sollen sich nun mit dem Einfluss der Triebwerksparameter befassen.
Für Piloten ergeben sich laut Mayerbuch aus der Nutzung des alternativen Kraftstoffs „kaum merkbare Unterschiede“. So seien Triebwerksparameter und Kraftstoffanzeige unverändert. Allerdings sei der Geruch von Treibstoff und Abgasen deutlich weniger unangenehm als bei herkömmlichem Kerosin.
Zu lösen sei das Problem mit der Kompatibilität der Dichtungen, etwa beim Mischbetrieb: Beim Einsatz von aromatenfreiem Kraftstoff können nur Dichtungen verwendet werden, die zuvor nicht mit Kerosin in Kontakt gekommen waren. Wechsle man zwischen PtL und Jet-A1 hin und her, müssten jedes Mal alle Dichtungen komplett ausgetauscht werden. Mayerbuch: „Hier müssen die Hersteller von Polymer-Dichtungen vorankommen.“
Wie geht es weiter?
Neben den Testreihen mit nachhaltigen Kraftstoffen ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt auch an Forschungsprojekten zu deren Produktion beteiligt. So soll in Leuna, Sachsen-Anhalt, eine Technologieplattform zur Produktion von Power-to-Liquid-Kraftstoff entstehen. Die grüne Produktion von PtL-Kraftstoffen könnten die CO2-Emission der Luftfahrt um bis zu 95 Prozent reduzieren.
Ein weiteres Projekt des DLR heißt „Blue Condor“ und dreht sich um die weltweit ersten Flugmessungen von Kondensstreifen eines wasserstoffbetriebenen Turbojet-Triebwerks. Fortsetzung folgt…
GA
Weitere Fragen zur Forschung der HM in Oberpfaffenhofen?
Wenden Sie sich gerne an Prof. Dr.-Ing. Alexander Knoll
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